In der an den Vortrag anschließenden Diskussion und Fragerunde ging es ganz praktisch um die (technische) Umsetzung, wichtige Guidelines und rechtliche Bedingungen.
Zielgruppen
Gestalter:innen von Partizipationsprozessen sollten sich zu Beginn über ihre Zielgruppen klarwerden, so Dr. Rogalla. Eine komplette Barrierefreiheit für alle in jedem Verfahren sei aktuell unmöglich und man könne sich dem nur annähern. Die Frage sei also eher: „Wen wollen Sie adressieren und wen können Sie überhaupt adressieren?“ Ist die Zielgruppe sehr breit, z.B. in kommunalen Beteiligungsprozessen, kann es helfen, direkt auf vor Ort ansässige Organisationen zuzugehen.
Erreichbarkeit
Menschen mit Behinderungen sollten möglichst von Anfang an in die Gestaltung von Beteiligungsprozessen einbezogen werden. Aber wie können Menschen erreicht werden, die entsprechende Erfahrungen haben? Dr. Rogalla berichtete uns, wie sie bei Partii vorgegangen sind: Über eine Recherche in den sozialen Netzwerken wurden Menschen gesucht und angeschrieben, die im Internet aktiv sind und beispielsweise dort Aufklärungsarbeit machen. Ein Tipp aus der Praxis: Wenn man konkret nach Tester:innen für neue Tools sucht, gibt es hier auch die Möglichkeit, über spezifische Dienstleister oder Werkstätten mit entsprechenden Angeboten zu gehen.
Guidelines
Welche Richtlinien sind sinnvoll im Umgang mit Barrierefreiheit? Der deutsche BITV 2.0 sei ein guter Standard, meint Dr. Rogalla, da er dem WCAG 2.0 voll entspreche und sogar darüber hinausgehe. Aktuell sei auch der Entwurf der neuen WCAG 3.0 Standards in Arbeit. Als Handbuch zur Orientierung seien die WCAG Guidelines aber auch sehr hilfreich, da die Ziele zwar teilweise etwas abstrakt formuliert seien, aber anhand von konkreten Beispielen erklärt würden. Wichtig sei hier, vor allem von Anfang an auf das Design zu achten und nicht nur auf technische Aspekte.
Learnings aus Partii
Die Rückmeldungen der Webseite-Tester:innen seien im Projekt Partii sehr unterschiedlich gewesen. So wurden beispielweise die Übersetzungen in Gebärdensprache gelobt, da alles übersetzt wurde – bis auf die Datenschutzerklärung, die lediglich zusammengefasst wurde. Das fanden die meisten Teilnehmenden aber sogar sehr gut: endlich mal eine leicht verständliche Datenschutzerklärung! Andererseits kritisierten beispielsweise Tester:innen aus dem Autismus Spektrum die Videos der Dolmetscher:innen, da ihnen die vielen Bewegungen und wechselnden Farben die Bedienung der Website erschwerten.
Insgesamt stecke in den verschiedenen Formen von Barrierefreiheit noch massiver Forschungsbedarf, so Dr. Rogalla. Es gebe einen großen Bedarf an Barrierefreiheit und die Hindernisse werden immer deutlicher. Die Lösungen allerdings bräuchten noch Zeit.
„Es wird gerade erst klar, was alles möglich ist.“
Aktuelle Entwicklungen
Zum Ende unserer Diskussion kam die Frage auf, ob die Pandemie dazu geführt habe, das Thema Barrierefreiheit zu stärken. Dr. Rogallas Einschätzung nach sei vor allem der Bedarf nach kommunikativer Barrierefreiheit stärker geworden. Die Förderbereitschaft sei leicht gestiegen, allerdings hätte es diese Entwicklung auch schon vor COVID-19 gegeben. Durch den European Accessibility Act sind nun nicht nur öffentliche Verwaltungen zu digitaler Barrierefreiheit verpflichtet, sondern auch Teile der Privatwirtschaft, wodurch mehr Branchen und Organisationen darauf aufmerksam würden.
Wir bedanken uns herzlich bei Dr. Irmhild Rogalla für den spannenden Input und bei allen Teilnehmenden fürs Zuhören und Diskutieren!
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Stand: 28.02.2022