11. Juli 2022

Demokratieförderung in Zeiten des Krieges

Regenbogenflagge mit der Aufschrift „PACE“ vor einer Menschenmenge, die auf die Siegessäule in Berlin zuläuft.
Friedensdemo auf der Straße des 17. Juni im März 2022

„Das ist heute nicht Thema!“, hörten wir oft als Erwiderung während des Sammelns von Unterschriften für die Volksinitiative „Demokratie für Alle!“, mit der wir uns für mehr politische Teilhabe einsetzen. Besonders einige Teilnehmer:innen der Friedensdemonstrationen nach dem Beginn des Angriffskrieges von Russland gegen die Ukraine schienen auf die Frage, ob sie unsere Volksinitiative mit einer Unterschrift unterstützen wollen, die Verbindung zwischen einer inklusiven, modernen Demokratie und der Sicherung des Friedens nicht direkt herzustellen. Wir sind glücklich, dass die Initiative mit mehr als 25.000 Unterschriften erfolgreich war, aber die Reaktionen ließen uns nachdenklich zurück. Sicherlich sollte unser aller Energie darauf gerichtet sein, die Menschen in der Ukraine als Opfer dieses Überfalls zu unterstützen und den Frieden wieder herzustellen. Aber das darf uns nicht abhalten, gleichzeitig alles dafür zu tun, dass wir in Europa und überall auf der Welt Bedingungen schaffen, die Frieden in Zukunft sichern. Warum wir der Überzeugung sind, dass gerade in Zeiten, in denen ein Angriffskrieg in Europa Realität ist, die Stärkung unserer Demokratie eine der wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben sein sollte, wollen wir deswegen hier erläutern.

Partizipation und Demokratie als wichtiger Beitrag zum Friedenserhalt

Natürlich sind wir als Verein, der sich der Förderung des demokratischen Staatswesens verschrieben hat, durch unsere Arbeit vorgeprägt. Aber tatsächlich wird auch in der neueren Friedens- und Konfliktforschung betont, dass Partizipation und Demokratie eine wichtige Rolle zur Erhaltung von Frieden spielen. Zwei zentrale Ideen dazu erläutern Sebastian Sönsken, Anne Kruck und Zina El Zahel in ihrem Essay „Nachhaltig wirken: Friedensentwicklung und -erhalt“ in einem Glossar der Berghof Foundation aus dem Jahr 2020. Als erste zentrale Idee wird in der Einleitung des Beitrags der Unterschied zwischen negativem und positivem Frieden betont:

  • „Negativer Frieden“ beutetet die Abwesenheit von Krieg oder direkter, physischer Gewalt.
  • „Positiver Frieden“ bedeutet die Abwesenheit von Krieg und physischer Gewalt, soziale Gerechtigkeit und eine Kultur des Friedens innerhalb einer Gesellschaft und zwischen Gesellschaften.

Entsprechend der neueren, umfassenderen Definition des „positiven Friedens“ hat sich in der Friedens- und Konfliktforschung ein komplexeres Bild ergeben von den Bedingungen, die nötig sind, um Frieden nicht nur nach einem Konflikt zu schaffen sondern ihn dauerhaft zu erhalten. Zurückgehend auf den Sozialwissenschaftler und Friedensforscher Dieter Senghaas erläutert der Essay, sowie dieser Beitrag der Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg, als zweites zentrales Konzept das Modell des „zivilisatorischen Hexagons“.

Grafische Darstellung eines Sechsecks mit den folgenden Stichworten an den Ecken: „Gewaltmonopol“, „Interdependenzen und Affektkontrolle“, „Soziale Gerechtigkeit“, „Konstruktive Konfliktkultur“, „Demokratische Partizipation“ und „Rechtsstaatlichkeit“.
Zivilisatorisches Hexagon nach Dieter Senghaas (Darstellung: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg)

Das Hexagon (Griechisch für die geometrische Form des Sechsecks) fasst sechs Dimensionen zusammen, die Senghaas auf Basis seiner historischen Analysen als ursprünglich sieht für einen dauerhaften Frieden in der (westlichen) Welt. Eine der Dimensionen des Sechsecks ist die demokratische Partizipation, die zu stärken uns als Verein am Herzen liegt. Auch wenn man einwenden kann, dass Deutschland derzeit weit davon entfernt scheint, einen anderen Staat direkt anzugreifen, lassen diese Konzepte aus der Friedens- und Konfliktforschung die Vermutung zu, dass wir unsere Demokratie stärken müssen, um den Frieden zu erhalten. Aus unserer Arbeit wissen wir, dass das eine dauerhafte und langfristige Aufgabe ist, die wir nicht verschieben dürfen.

Eine starke und inklusive Demokratie für neue Sicherheitsdiskurse

Allerdings geht es nicht nur darum, einem Schreckensszenario vorzubeugen, in dem Deutschland eine kriegerische Auseinandersetzung beginnt. Schon jetzt wirft der Angriffskrieg gegen die Ukraine neue gesellschaftliche Fragen auf, bei denen es um Sicherheit durch militärische Aufrüstung geht und darum, wie der Staat in bewaffnete Konflikte in der Ukraine und anderswo auf der Welt eingreifen soll. Schon allein für diese wichtigen Fragen, die im Zweifel jede:n in Deutschland und Europa betreffen, braucht es eine starke, funktionierende und inklusive Demokratie. Und in Anbetracht der Geschwindigkeit, mit der diese Diskussionen heutzutage geführt werden, auch eine Demokratie, die sich moderner, digitaler Tools bedient, um Bürger:innen trotz der manchmal notwendigen Eile miteinzubeziehen. Eine solche neue demokratische Kultur ist nötig, um diese komplizierten und kontroversen Fragen als Gesellschaft konstruktiv diskutieren zu können.

Wir sind davon überzeugt, dass wir als Gesellschaft beides können und müssen: Zum einen, die Ukraine mit all unseren Mitteln unterstützen, um den Krieg zu gewinnen. Zum anderen, die Demokratie nachhaltig stärken, um einen positiven Frieden zu sichern. Durch die von uns unterstützte Volksinitiative „Demokratie für Alle!“ und unsere Arbeit als Verein allgemein leisten wir einen direkten Beitrag für den Erhalt einer friedlichen und inklusiven Gesellschaft.