19. März 2018

Partizipation ist nicht nur Konsensbildung


Wie können Innovationen in Kommunalverwaltungen, Ämtern und Fachabteilungen gelingen, die mit diesen eine Kultur der Beteiligung und Transparenz umsetzen möchten?

In Kooperation mit dem Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) und dem Bildungswerk für alternative Kommunalpolitik (BiwAK e.V.) veranstaltete die Heinrich Böll Stiftung in Berlin am 01. und 02. März 2018 die Fachtagung zu dem Thema: Verwaltung trifft Beteiligung: Zwischen Amt und Bürgerinnen/Bürgern - Krisen und Chancen.


Copyright: Heinrich Böll Stiftung / stephan-roehl.de, CC BY - SA 2.0

Immer mehr Kommunen und auch einige Bundesländer machen sich derzeit auf den Weg, die Kooperation zwischen Stadtgesellschaft, Verwaltung und Politik zu verbessern und das Vertrauen in Verwaltungshandeln zu stärken, um somit bessere Lösungen zu entwickeln. Gefragt ist dafür eine politische Kultur, die sich Krisen und Konflikten stellt und sie innovativ löst. Nicht zuletzt der digitale Wandel beeinflusst hier Anforderungen und Möglichkeiten. Doch auf dem Weg zu Veränderungen steht die Verwaltung vor großen Herausforderungen, die sich durch Verunsicherungen äußern. Die Fachtagung ging Konflikten und Lösungswegen auf den Grund und fragte unter anderem nach Perspektivwechsel, Schnittstellen, Rollenverständnissen (auch der Politik) sowie nach guten Ansätzen und Lösungen für praxisrelevante Herausforderungen.

Jürgen Kegelmann | Copyright: Heinrich Böll Stiftung / stephan-roehl.de, CC BY - SA 2.0

Den Auftakt des ersten Tages machte Prof. Jürgen Kegelmann von der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl und Führungsakademie in Baden-Württemberg, mit seinem Vortrag über kommunale Beteiligungskulturen und den Herausforderungen für das Verwaltungshandeln. Bürgerbeteiligung wurde hier unter anderem als Schutzmechanismus vor Konflikten definiert, die andernfalls später nicht mehr aufzulösen wären. Darüber hinaus kommt ihr die wichtige Funktion der Wissensakkumulation von Bürgerinteressen zu, die an Entscheidungsfindungsprozessen mitwirken und an der Qualität von Entscheidungen mitarbeiten können.

Podium v.l.n.r. Jürgen Kegelmann, Gisela Erler, Anne Ulrich, Susanna Kahlefeld, Jochen Partsch | Copyright: Heinrich Böll Stiftung / stephan-roehl.de, CC BY - SA 2.0

In der anschließenden Diskussionsrunde ging es dann um die Frage, was die Politik für kommunale Beteiligungskulturen tun kann und muss. Dr. Susanne Kahlefeld, die Sprecherin für Partizipation der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, brachte in diesem Kontext den Leitlinienprozess für Bürger*innenbeteiligung an der Stadtentwicklung (LLBB)  als Indikator für eine bürgerbeteiligungs-gerechte Berliner Stadtverwaltung ein. Es werden darin bis Ende 2018 verbindliche Leitlinien zur Bürger*innenbeteiligung durch ein Arbeitsgremium, das sich aus Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Verwaltung sowie aus Bürgerinnen und Bürgern zusammensetzt, erarbeitet. Die Zwischenstände und die Ergebnisse des Arbeitsgremiums werden dann in öffentlichen Werkstätten vorgestellt, diskutiert und ergänzt. Liquid Democracy begleitet diesen Prozess online und bildet den Leitlinienprozess auf einer eigens dafür eingerichteten Plattform ab, auf der sich ebenfalls an ihm beteiligt werden kann: https://leitlinien-beteiligung.berlin.de/.

Am Nachmittag folgte dann das erste Forum des Tages zu dem Thema: Digitalisierung – Freud und Leid und die Chancen. Dr. Björn Fleischer, von Open.NRW beim Beauftragten der Landesregierung für Informationstechnik (CIO) in Düsseldorf, betonte die Vorteile von Digitalem und Beteiligung. Zwei unverkennbare Vorteile liegen in der Einfachheit des Informationsfluss sowie der Nachvollziehbarkeit und Transparenz von Beteiligungssoftwares. Es kristallisierte sich während der Diskussion heraus, dass sowohl online als auch offline Beteiligung Vor- und Nachteile haben und sich beide Formen nicht gegenüberstehen, sondern vielmehr ergänzen. In diesem Sinne sollte gute Bürger*innenbeteiligung gestaltet werden.

Ein besonders interessanter Kommentar kam in diesem Kontext von Renate Mitterhuber, Leiterin der Geschäftsstelle IT-Planungsrat beim BMI. Sie stellte die These auf, dass Bürger*innenbeteiligung in Zukunft und mit Hilfe von künstlicher Intelligenz simuliert werden könnte.

Gerd Gigerenzer (rechts) | Copyright: Heinrich Böll Stiftung / stephan-roehl.de, CC BY - SA 2.0

Der zweite Tag der Fachtagung in der Heinrich Böll Stiftung startete mit einem Forum zu der Frage: Warum ist Risikokompetenz wünschenswert? Prof. Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Risikokompetenzforschung sprach sich für eine positive Fehlerkultur aus, in der Fehler als Informationen zur Verbesserung eines gesamten Betriebs und der internen Abläufe genutzt werden und letztlich gute Entscheidungen hervorbringen.

Workshop 2# Qualitätskriterien: Bessere Beteiligung sichern | Copyright: Heinrich Böll Stiftung / stephan-roehl.de, CC BY - SA 2.0

Auf dem darauffolgenden Workshop über Qualitätskriterien für besserer Beteiligung, beschäftigten sich die Teilnehmer mit der Sicherstellung von Standards für Partizipation. In einem von Monika Nickles (Allianz für vielfältige Demokratie der Bertelsmann-Stiftung, Stadt Erlangen) geleiteten Workshop, plädierten die Teilnehmenden unter anderem für offenere Ausschreibungen von online Partizipationsprojekten. Häufig sind diese sehr eng formuliert und erschweren somit die Durchführung von progressiven Projekten. Außerdem wurde die bereits angesprochene Feedbackkultur und ihre Wichtigkeit hinsichtlich der dialogischen Form der Beteiligung thematisiert. Schließlich sollten Beteiligungsprozesse multimedial und mit Hilfe von verschiedenen Formaten durchgeführt werden, damit sie erfolgreich gelingen können. Einen Überblick über die Qualitätskriterien für gute Beteiligung liefert: https://gut-beteiligt.de/.

Abschlusspodium | Copyright: Heinrich Böll Stiftung / stephan-roehl.de, CC BY - SA 2.0

Das Abschlusspodium fokussierte die Herausforderungen der Kommunikationsgesellschaft für die öffentliche Verwaltung. Die Kernforderungen waren:

  • Änderung von internen Verwaltungsstrukturen

  • Kompetenzerweiterung in der Ausbildung

  • Weniger formalisiertes Denken

  • Professionelles Selbstverständnis stärken bzw. wiederbeleben

  • Interdisziplinäre und problemorientierte Lern- und Arbeitsformen integrieren

Insgesamt war die Fachtagung "Verwaltung trifft Beteiligung" für unsere Arbeit eine wichtige und sehr spannende Veranstaltung, die nicht nur die Teilnehmer*innen bereichert hat, sondern auch allen Interessierten an E-Partizipation Aufschluss über die Potenziale und Herausforderungen der digitalen Bürger*innenbeteiligung liefern konnte. Es lässt sich abschließend festhalten, dass Partizipation nicht nur Konsensbildung ist, sondern auch dabei hilft, Konflikte offenzulegen. Hierdurch kann ein entscheidender Beitrag zur Debattenkultur geliefert werden.