Eine demokratische Grundannahme lautet: guter Politik geht es darum, bei Vorhandensein mehrerer alternativer Lösungswege durch diskursive Verfahren den jeweils bestmöglichen zu finden. Das setzt ein Denken in Alternativen voraus, denn einer Politik, die sich alternativlos wähnt, fehlt die Legitimation. Demokratie baut mit Hinblick auf qualitative Entscheidungen auf die Vielzahl von Stimmen. Und ein schönes Beispiel für die Umsetzung dieses Gedankens ist der neue Nutzungs- und Pflegeplan des Tempelhofes Feldes. Ab sofort wird er kollektiv von allen Berliner*Innen (und solchen, die es im Herzen oder aus der Ferne sind) erarbeitet.
Diese Woche stellte Liquid Democracy in der cbase in Berlin Interessierten die neue Plattform zum Tempelhofer Feld vor. Die Idee der Plattform ist es, in einem kollaborativen Prozess mit allen Bürgerinnen und Bürgern Berlins gemeinsam Perspektiven für den Pflegeplan des Feldes zu entwickeln. Kontrovers diskutiert wurde von den Anwesenden vor allem die Frage von Anonymität und Legitimation auf öffentlichen Plattformen.
Urbane Entwicklung und Online-Tools
Für das Tempelhofer Feld, ein Ort, der durch kollektive Interessen und individuelle Nutzung eine große Bedeutung für die Bürgerinnen und Bürger darstellt, gab es bisher viele Ideen für Möglichkeiten und langfristige Nutzungspläne. „Wir haben bisher über 400 Vorschläge und Anträge zur Nutzung des Feldes erhalten“, sagt Evelyn Bodenmeier, Mitarbeiterin des BUND und externe Assistentin der Berliner Senatsverwaltung. Von Motorsport bis Naturschutz sei alles dabei gewesen. Die Plattform soll nun helfen, Vorschläge zu sammeln und öffentlich zu machen, so dass ein transparenter Diskurs möglich ist. Die Stadt erhofft sich davon schließlich ein Stimmungsbild, nach dem Nutzungspläne entworfen werden können.
Mit Adhocracy, der Open Source Software, die vom Liquid Democracy e.V. entwickelt wird, können Bürgerinnen und Bürger ab dieser Woche ihre Vorschläge auf der Website einbringen. Im Sinne eines kollaborativen Prozesses ermöglicht die Website auch einen langfristigen Diskurs der verschiedenen Stimmen, denn auf Adhocracy können die Bürgerinnen und Bürger Vorschläge sammeln, kommentieren und diskutieren. Die Berlinerinnen und Berliner hatten lange für den Erhalt des Feldes als öffentliches Areal gekämpft. Die vielen Ideen für die zukünftige Nutzung müssen nun zu einem Gemeininteresse geordnet werden, das zudem mit dem Gesetzestext zum Tempelhofer Feld vereinbar ist. Der Gesetzestext findet sich zur öffentlichen Einsicht auf der Plattform.
Eine leere Fläche zum Gestalten – Partizipationsverfahren Tempelhof
„Die Plattform ist aktuell eine leere Tanzfäche“, sagt Bodenmeier. Whatever works: Je mehr Leute hier etwas schreiben, desto leichter sei es für andere, daran anzuknüpfen und Ideen zu entwickeln. Mithilfe der Plattform soll sich ein kollektiver Diskurs entwickeln, der von möglichst vielen getragen wird. Dabei gibt es viele Möglichkeiten, und viele Fragen, die Liquid Democracy beim Launch der Plattform diskutiert und beantwortet. Viele Bürgerinnen und Bürger haben Fragen zu den Daten, die erforderlich sind, um einen Account anzulegen und an der Diskussion teilzunehmen. Die Sicherheit der Daten ist gewährleistet, sagt Rouven Brües, Projektmanager bei Liquid Democracy, der die Plattform vorstellt und das Projekt betreut. Um möglichst einfache Vorraussetzungen für die Beteiligung zu schaffen ist das Authentifizierungsverfahren der Plattform schmal gehalten. Um einen Account anzulegen, braucht man lediglich einen Nutzernamen, ein Passwort und eine Emailadresse. Das hat den Vorteil, dass sich jede*r zu jeder Zeit und egal von wo aus beteiligen kann, erklärt Brües. Einige haben die Sorge, dass dies Manipulation ermögliche. Den Vorschlag einer Bürger-ID zur Anmeldung lehnt Brües aus Gründen der Niedrigschwelligkeit entschieden ab: „Das würde heißen, dass verschiedene Menschen, zum Beispiel solche, die hier keinen festen Wohnsitz haben, von vorne herein von der Diskussion ausgeschlossen sind. Das ist nicht die Idee der Plattform.“
Pseudonyme versus Klarnamenzwang
Aus dem Anspruch, eine niedrigschwellige Plattform zu gestalten ergibt sich somit eine gewisse Anonymität, eine Legitimation der Nutzer kann nicht stattfinden. Das heißt aber auch, dass keine Daten unnötig erhoben werden, wie zum Beispiel Meldeadressen. Evelyn Bodenmeier greift diese Kritik auf: „Ich verstehe die Ängste und die Argumente sind richtig“, sagt sie. „Eine Bürger-Plattform wie für Tempelhof ist aber auch ein Pilotprojekt, das in dieser Größe noch nicht da war. Einiges müssen wir auch ausprobieren, auch um die Prozesse zu verbessern. Es geht uns im Moment vor allem darum, Menschen zu erreichen und kollektive Interessen festzustellen. Mit dem Tool können wir auch schauen, was geht und was nicht.“
Trotz der Skepsis gegenüber relativ großer Anonymität und der Angst, vor der Möglichkeit zum Missbrauch sind viele gegen einen Klarnamenzwang oder eine Identifizierung über eine Bürger-ID. „Das finde ich gut – ich möchte nicht irgendwo persönlich vorstellig werden müssen, um mich zu beteiligen“, sagt eine Bürgerin.