20. Dezember 2018

Digitale Demokratie und Liquid Democracy in 2018 – Ein Rückblick

2018 war ein schönes, manchmal anstrengendes und trotzdem erfüllendes Jahr für uns und das Thema digitale Demokratie. Mit diesem Rückblick läuten wir den besinnlichen Teil der Weihnachtszeit ein. Wir blicken auf den Stand der digitalen Demokratie und unsere Projekte in 2018 zurück und schauen ein wenig in das neue Jahr voraus.

Digitale Demokratie – Der Normalfall?
Noch ist digitale Beteiligung nicht der Normalfall; Bild: Unsplash.com/adrian infernus

In all unseren Projekten war viel los und 2018 zeigte deutlich, dass Digitalisierung und Demokratieförderung zusehends zusammenwachsen. Dass das nicht nur ein Bauchgefühl ist, sieht man zum Beispiel daran, dass sich Ende 2017 und in 2018 wichtige Ideenwettbewerbe mit digitaler Demokratie beschäftigt haben. Demokratie in Europa war das Thema der diesjährigen Förderrunde von Advocate Europe, dem Ideenwettbewerb, den wir gemeinsam mit MitOst e.V. und gefördert durch die Stiftung Mercator umgesetzt haben. Und seit Ende 2017 gibt es mit demokratie.io einen weiteren Ideenwettbewerb, der ganz explizit Projekte fördert, die digitale Werkzeuge für mehr Demokratie entwickeln. Ein weiterer Beweis dafür, dass Digitales und Demokratie langsam zusammenwachsen ist die Online-Beteiligung auf kommunaler Ebene. Eine im Mai 2018 veröffentlichte Studie von Pollytix/NeulandQuartier bei der 124 Bürgermeister*innen befragt wurden, zeigt, dass mittlerweile 41 Prozent der Kommunen ihre Bürger*innen durch Online-Dialoge beteiligen. Auch wenn natürlich sehr viel mehr Online-Formate als nur Online-Dialoge existieren, zeigt die Studie: Bürger*innen über Online-Plattformen zu beteiligen wird zunehmend alltäglicher. 

Trotzdem kann man selbst in Kommunen nicht davon reden, dass digitale Demokratie wirklich der Normalfall geworden ist. An zwei Aspekten wollen wir das kurz veranschaulichen. Von den 40 größten deutschen Städten nach Einwohner*innen haben nach unserer letzten Zählung im Sommer 2018 gerade einmal neun eine zentrale Online-Beteiligungsplattform. Da liegt also noch sehr viel Arbeit vor uns – vor allem, wenn man digitale Beteiligung nachhaltig etablieren will. Dafür ist es aus unserer Sicht unbedingt nötig, einen möglichst offenen Lernprozess anzustoßen. Für die technische Umsetzung heißt das: Die Plattformen für digitale Beteiligung müssen Open Source sein, also ihr Quellcode frei und offen verfügbar sein. Nur so können diese digitalen Plattformen unabhängig vom Anbieter weiterentwickelt und in ihrer Funktionsweise verstanden werden. Berlin ist mit der von uns entwickelten und auf unserer Software Adhocracy basierten  Plattform mein.berlin.de derzeit die einzige der 40 größten deutschen Städte bzw. das einzige Bundesland, deren Online-Beteiligungsplattform einen offenen Quellcode hat. Dieser Zustand besorgt uns, was die Nachhaltigkeit von Online-Beteiligung angeht. Ein weiterer Aspekt, der für einen Lernprozess unabdingbar ist, ist die personelle Ausstattung für Bürger*innen-Beteiligung in der Verwaltung. Nur wenn Beteiligung von einem/einer Beauftragten in der Verwaltung kontinuierlich weiterentwickelt und evaluiert wird, hat digitale und Vor-Ort-Beteiligung eine Chance sich langfristig zu etablieren. Auch hier zeigt ein Blick in die bereits zitierte Studie von Pollytix/NeulandQuartier, das das nur bei 57 Prozent der befragten Kommunen der Fall ist. In der Studie wurde zudem nicht unterschieden, ob Bürger*innen-Beteiligung nur zusätzliches Aufgabengebiet von z.B. der Öffentlichkeitsarbeit ist oder wirklich mit einer eigenen Stelle versehen wurde. Diese beiden Aspekte, freier Quellcode und die Stellen, die in Kommunen für Beteiligung geschaffen werden, verdeutlichen sinnbildlich, dass es noch einiges an Zeit und Energie brauchen wird, bis zur wirklich digitalen Demokratie.

Mehr Teilnehmer*innen bei Online-Beteiligung – nicht nur in Kommunen
Die Aktivitäten in unseren sechs größten Projekten in 2018

Dennoch macht uns das Jahr 2018 optimistisch. Ein wichtiger Meilenstein für eines unserer Projekte wurde Ende dieses Jahres überschritten. Die zentrale Online-Beteiligungsplattform des Landes Berlin, meinBerlin, verzeichnet nun über 10.000 registrierte Nutzer*innen! Außerdem liefen in 2018 mehr als 40 Beteiligungsverfahren auf mein.berlin.de, davon zwei in der Stadtöffentlichkeit sehr viel diskutierte Projekte. Beide Projekte, die Konsultation zu vier Varianten für die Bebauung des Blankenburger Südens und der Lärmaktionsplan für Berlin, verzeichneten mehr als 1.500 Beiträge von Bürger*innen. Ein zweiter Punkt, der uns optimistisch macht: Im Rückblick auf 2018 freut es uns sehr, dass das Thema digitale Beteiligung auch wieder über Kommunen hinaus Fuß gefasst hat. Schon im Mai bei unserem sechsten FoLD-Treffen war es uns ein Anliegen, Online-Beteiligung nicht nur im kommunalen Kontext zu diskutieren. Bei einer spannenden Podiumsdiskussion ging es dabei um das sehr heiß diskutierte Thema der Online-Wahlen. Auch wenn uns Online-Wahlen derzeit als technisch sehr problematisch erscheinen, gelang es uns in 2018 doch, digitale Demokratie ein Stück weit Realität werden zu lassen. Im September 2018 startete das SPD Debattenportal, das wir im Auftrag des SPD Parteivorstands für die Mitglieder der SPD entwickeln. Dort können Parteimitglieder online über Zukunftsthemen der SPD diskutieren. Insgesamt haben wir mit unseren neuen und laufenden Projekten 2018 mehr als 14.000 neue Nutzer*innen gewonnen und bei mehr als 15 Konferenzen und Workshops zum Thema Online-Beteiligung und Liquid Democracy gesprochen. Auch das ist ein Zeichen für uns: Die digitale Demokratie ist im Aufwind, jetzt müssen alle daran arbeiten, dass das auch in Zukunft so bleibt.

Zeit fürs Nachdenken – und für neue Projekte

Intern haben wir uns im letzten Jahr einiges an Zeit genommen, um über uns und unsere Arbeit zu reflektieren. Nachdem wir bereits in 2017 unsere Vision, Mission und Werte überarbeitet hatten, ging es uns dieses Jahr darum, darüber nachzudenken, wie wir die Vision in Zukunft in die Praxis umsetzen. Dabei haben sich zwei Schwerpunkte für uns ergeben: Wir möchten unsere ideelle Arbeit noch mehr in den Fokus rücken und Online- und Vor-Ort-Beteiligung muss besser verknüpft werden. In den letzten Jahren haben wir erlebt, dass besonders in Städten und Kommunen das Thema Online-Beteiligung sehr viel Zuspruch gefunden hat. Aus einer Idee, die zu den Anfängen unseres Vereins in 2009 wie Science Fiction klang, ist heute ein lebendiges Feld mit vielen Projekten und zahlreichen neuen Organisationen geworden – viele davon profitorientierte Unternehmen. Wir sind überzeugt, dass Liquid Democracy als gemeinnütziger Verein gerade deshalb wichtiger als je zuvor ist, damit wir uns in dem sich schnell entwickelnden Feld der Online-Beteiligung weiter für die Stärkung der Demokratie und unsere Werte einsetzen: Innovation, Open Source, Teilhabe und Unabhängigkeit. 

2018 bot Zeit zur Reflexion über unsere Ziele, u.a. im Sommer beim Stechlin-Institut, Bild: Liquid Democracy CC-BY-SA 2.0

Unser zweiter Schwerpunkt, der sich beim Nachdenken über unsere Projekte ergeben hat, ist Online- und Vor-Ort-Beteiligung zu verknüpfen. Und wir freuen uns sehr, dass wir 2019 in einem neuen Projekt daran arbeiten werden. SpeakUp, ein digitaler Assistent, mit dem wir Diskussionen bei Workshops und Veranstaltungen inklusiver und ausgeglichener machen wollen, wurde als eines von fünf Gewinner-Projekten beim Wettbewerb demokratie.io ausgewählt. Im Januar geht es mit der Umsetzung los. Für uns könnte das kein besserer Start in das neue Jahr sein.


Schließen wollen wir diesen Rückblick mit einem großen „Danke” für dieses gelungene Jahr 2018 an euch: Unsere Mitglieder, Partner*innen, Auftraggeber*innen und Interessierte. Auf ein Neues!