6 Minuten, 40 Sekunden, 20 Folien. Mit diesen Zahlen wird der Rahmen für ein Pecha Kucha gesetzt. Wer schon einmal versucht hat, ein komplexes Thema wie etwa das eigene Forschungsprojekt oder eine knifflige wissenschaftliche Fragestellung in so knapper Zeit vorzustellen, weiß, wie schwierig das sein kann. Bei unserem Pecha-Kucha-Abend, den wir vergangene Woche in unserem Neuköllner Büro veranstalteten, ist das unseren Gästen jedoch hervorragend gelungen. Anders als in den Vorjahren, in denen die Netzwerkpartner:innen des Forschungsnetzwerks Liquid Democracy (FoLD) sich in einer mehrtägigen Konferenz über ihre Arbeit austauschten, wählten wir diesmal einen informelleren Rahmen. Um dabei möglichst wenig Abstriche beim Inhalt zu machen, entschieden wir uns für die Vortragsweise mit dem wohlklingenden japanischen Namen. Zu Gast waren dabei wie gewohnt zahlreiche Forscher*innen aus Universitäten und Forschungsinstituten. Heraus kam ein abwechslungsreiches Programm, in dem alle Votragenden ihre ganz eigene Weise fanden, mit dem Format umzugehen. Hier folgt eine Zusammenfassung des Abends.
11. Oktober 2016
FoLD-Treffen, mal anders
Zur Einleitung begrüßten unsere Vorstandsvorsitzenden Rouven Brües und Moritz Ritter die Gäste und stellten dabei die aktuellen Entwicklungen und Projekte des Vereins vor. Angesichts der vielen personellen, räumlichen und strategischen Änderungen im letzten Jahr gab es hier einiges zu berichten: Neuer Vorstand, neues Büro, neue Projekte.
Prof. Michael Baurmann von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf stellte zu Beginn das dort neu eröffnete Düsseldorf Institute for Internet and Democracy (DIID) vor. Dieses legt ein umfangreiches Forschungsprogramm über die demokratischen Potenziale des Internets vor und kooperiert mit Partnern aus kommunaler Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft. Ein zentrales Forschungsanliegen stellt dabei unter anderem die automatisierte Auswertung der bei Online-Beteiligung anfallenden großen Datenmengen in Textform dar. Neben den digitalen Beteiligungsinstrumenten und ihren demokratischen Qualitäten befasst sich das DIID auch mit den weniger erwünschten Schattenseiten digitaler Medien, wie etwa der Nutzung durch internationale Terrornetzwerke. Eines der ersten Projekte, die durch das DIID veröffentlicht wurden, ist der "Monitor Online-Partizipation" (Link). Dieser bietet eine gute Übersicht über die bislang in Nordrhein-Westfalen umgesetzten Online-Beteiligungsverfahren und dient so dem Erfahrungsaustausch der Kommunen und der Forschungsgemeinschaft. Über die Arbeit mit dem DIID hinaus stellte Prof. Baurmann auch das Center for Advanced Internet Studies (CAIS) in Bochum in Aussicht, das seine Arbeit demnächst aufnehmen wird.
Dr. Tobias Escher, ebenfalls von der HHU Düsseldorf, präsentierte im Anschluss sein Forschungsprojekt über Wirkungen und Einflussfaktoren Kommunaler Online-Partizipation. Er löst damit ein zentrales Problem in der Erforschung der Wirkung von Online-Beteiligungsinstrumenten: In diesem Feld mangelt es an systematischen Untersuchungen, welche neben den Teilnehmenden von Beteiligungsangeboten auch die passiven Bürger*innen befragen, Vorher-Nachher-Vergleiche anstellen sowie Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Verfahren und Online- und Offline-Beteiligung herstellen. Genau dies hat Escher nun gemeinsam mit seinem Mitarbeiter vor. Für ihre Studie mit dem aufwändigen Forschungsdesign haben sie bereits drei nordrhein-westfälische Kommunen (Köln, Moers und Bonn) gewinnen können, in denen ein diskursives Beteiligungsverfahren zum Thema Sicherheit im Radverkeher durchgeführt wird. In absehbarer Zeit könnte dieses Projekt wichtige Erkenntnisse über die Wirkungen von digital vermittelter Beteiligung hervorbringen.
Thomas Weiler von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW in Köln brachte eine juristische Perspektive in den Pecha-Kucha-Abend ein. Sein Vortrag befasste sich mit der Frage, inwiefern elektronische Wahlen in der BRD verfassungsmäßig sein können. Er beantwortete sie anhand der verfassungsmäßigen Grundsätze und Urteile des Bundesverfassungsgerichts, anhand von Interviews mit Fachleuten, sowie in einer rechtsvergleichende Perspektive, in der vor allem Estland eine wichtige Rolle spielt – hier sind Wahlen seit 2002 auf allen Ebenen möglich. Anhand der verfassungsgemäßen Wahlrechtsgrundsätze "frei, allgemein, geheim, gleich und unmittelbar“, sowie des Prinzips der Transparenz lässt sich die Frage differenziert beantworten: Einige der Grundsätze werden bei der elektronischen Umsetzung von Wahlen auf Kosten anderer gestärkt. Zudem wies Weiler auch auf das grundsätzliche Problem der Sicherheit der Systeme hin sowie auf das der mangelnden Transparenz. Die Vorteile elektronischer Wahlen fasste er wie folgt zusammen: Die Wahlbeteiligung wird nur marginal erhöht, wahrscheinlich aber stabilisiert. Es gäbe weniger unabsichtlich ungültige Stimmen oder Fehlauszählungen aufgrund der Möglichkeit der Leitung von Wähler*innen durch entsprechende Software. Wähler*innen im Ausland oder Menschen mit Behinderungen hätten es leichter, an Wahlen teilzunehmen, zudem wären die Verfahren schneller und mittel- bzw. langfristig kostengünstiger.
Tobias Bengfort aus dem Adhocracy-Team gab aus einer Informatik-Perspektive Einsichten in die Entwicklung von Beteiligungs-Software und die sich hier ergebenden Herausforderungen. Dabei stellte er die Möglichkeiten zur flexiblen Content-Modellierung in Adhocracy 3 vor. Die Inhalte der Beteiligung können in Adhocracy mit geringem Aufwand nach einem Baukastenprinzip modelliert werden (Titel + Beschreibung + Abstimmung + Kommentierung = Vorschlag). Das dazugehörende User Interface erfordert jedoch weiterhin einigen Aufwand in der Programmierung. Das Team arbeitet nun an verschiedenen Konzepten, um diesen Aspekt weiter zu vereinfachen.
Thomas Wagenknecht vom Forschungszentrum Informatik (FZI) präsentierte seine Ergebnisse aus einem Projekt über die Auswirkungen von Anonymität in der Online-Beteiligung. Das FZI kooperiert mit dem Liquid Democracy e.V. im Rahmen des Projekts Participation as a Service (PaaS), indem Online-Beteiligung im Kontext von Unternehmen erprobt wird. Hier werden Postings mit einer Anonymitäts-Option versehen, die es etwa Angestellten einer Firma ermöglicht, Kritik an Vorgesetzten zu äußern, ohne persönliche Sanktionen zu befürchten. Anonymität birgt jedoch auch einige Nachteile. Wagenknechts Untersuchung geht davon aus, dass sie sich auf das Konstrukt der wahrgenommenen sozialen Präsenz sowie auf die Glaubwürdigkeit der Nutzer:innen auswirkt. Dies hat letztlich negative Folgen für die Persuasiveness, also die Überzeugungskraft der Kommunikation. Diese These prüft Wagenknecht in einem experimentellen Forschungsdesign, in welchem zwei Gruppen für ihre eigenen Positionen argumentieren und der Grad der Anonymität bzw. Identifikation für beide Gruppen variiert wird. Das Paper über diese Studie findet sich hier.
Prof. Thamy Pogrebinschi vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) stellte den aktuellen Stand ihres LATINNO-Projekts (Link) vor, in dem sie mit ihrem Team demokratische Innovationen in 18 lateinamerikanischen Ländern katalogisiert und untersucht. Der Fokus liegt dabei auf der Fähigkeit der Innovationen, die Qualität der Demokratie zu verbessern. E-Partizipation stellt dabei einen Teil (16%) der knapp 2.000 untersuchten Projekte dar. Die meisten dieser Innovationen finden auf nationalem Level statt und werden zum großen Teil von den nationalen Regierungen initiiert. Sie richten sich dabei auf eine Vielzahl von Policy Issues, insbesondere aber auf die Bereiche Transparenz und Monitoring sowie urbane und lokale Planungsverfahren. Dabei haben sie in der großen Mehrzahl keine verbindlichen Entscheidungen zum Ziel. Darüber hinaus stellte Prof. Pogrebinschi die Veröffentlichung der Datenbank aus dem umfangreichen Projekt für Anfang 2017 in Aussicht.
Petra Balint vom Liquid Democracy e.V. präsentierte abschließend den aktuellen Stand des meinBerlin-Pojekts und gab den anwesenden Gästen mit ihrem überwiegend wissenschaftlichen Hintergrund einen Einblick in die Praxis von Online-Beteiligung. Die Beteiligungsplattform meinBerlin (Link) hat zum Ziel, städtische Planungsvorhaben sowie zahlreiche andere Verfahren wie beispielsweise Bürgerhaushalte an einem zentralen Ort zu bündeln und Beteiligung damit leichter zugänglich zu machen. Dabei bekamen einige der Gäste zum ersten Mal einen Eindruck vom Funktionsumfang von Adhocracy 3. Darüber hinaus ergaben sich vor allem hinsichtlich des Bürgerhaushalts-Formats einige Diskussionspunkte.
Die an diesem Abend vorgestellten Projekte stellen selbstverständlich nur eine kaum repräsentative Stichprobe der aktuellen Trends und des großen Themenspektrums bei der Erforschung von Online-Partizipation dar. Dennoch lassen sie erahnen, wie vielfältig die Fragestellungen sind, mit denen sich die Forschung in diesem Bereich derzeit befasst und in Zukunft beschäftigen wird. Wir hoffen jedenfalls, dass wir mit dieser Veranstaltung – trotz des ungewohnten Formats – zum Austausch zwischen den Netzwerkpartner*innen beitragen konnten. Als Organisation, die insbesondere an der praktischen Umsetzung von Online-Beteiligung arbeitet, ist es für uns stets von großem Interesse, im Dialog mit Vertreter*innen der Forschung auch über unsere eigene Arbeit zu reflektieren. In diesem Sinne danken wir den Gästen des Pecha-Kucha-Abends herzlich für ihr Interesse und ihre Teilnahme.