Eine Masterstudentin der Europastudien an der Universität Straßburg und Olomouc hat für ihre Masterarbeit im Frühjahr 2023 ein Experiment mit dem Titel "BresciaLiquida" durchgeführt. Ein Gastbeitrag von Francesca Benedetta Aletto, der Autorin der Studie.
11. Juli 2023
Masterarbeit “BresciaLiquida” nutzt adhocracy+ für Beteiligungsprojekt
Die Arbeit erforscht den Bereich der partizipativen Demokratie und untersucht die Effektivität von persönlichen Interaktionen und Online-Plattformen, indem sie die kommunalen Partizipationsprojekte von der italienischen Stadt Brescia, "Un filo naturale" und "BresciaLiquida" – die Online-Version dieses Projekts – vergleicht. Durch die Analyse der Erfahrungen und Ergebnisse dieser Initiativen sollen die potenziellen Vor- und Nachteile der Integration von technologiegestützten Plattformen in den demokratischen Prozess beleuchtet werden. Darüber hinaus untersucht die Studie die Möglichkeiten, die die Online-Dienste von adhocracy+ bieten, um die Beteiligung und das Engagement weiter zu verbessern.
Das Hauptziel der Studie besteht einerseits darin, ein breiteres Spektrum von Bürger:innen in das Projekt "Un filo naturale" einzubeziehen. Andererseits sollte die Studie ebenfalls umfassendere Umweltbelange und das dringende Problem der Umweltverschmutzung in Brescia adressieren. Durch den Einsatz von Technologie als Katalysator für Veränderungen sollte der:die Einzelne in die Lage versetzt werden, aktiv an der Verbesserung des Gemeinwesens mitzuwirken. Die Untersuchung zeigt dadurch das Potenzial von Kommunikationstechnologien bei der Förderung demokratischer Praktiken auf und regt zu einer integrativeren und partizipativeren Form der Verwaltung an.
Aus ethischen Gründen nutzt die Studie bewusst die von Liquid Democracy e.V. zur Verfügung gestellte Plattform adhocracy+ als Forschungsinstrument. Dank der Transparenz, dem offenen Code und der freien Verfügbarkeit der Plattform konnte die Studie ohne wirtschaftliche Unterstützung durch Dritte durchgeführt werden. Dies erleichterte den Beitrag der Studie zu der begrenzten akademischen Theorie über digitale Partizipation erheblich. Das Projekt kann hier eingesehen werden.
Die Erhebung war in verschiedene Phasen gegliedert, beginnend mit einem Fragebogen, gefolgt von der Nutzung von adhocracy+ und einem weiteren Fragebogen. Außerdem hatten die Teilnehmer:innen, die dies wünschten, die Möglichkeit, an anschließenden Interviews teilzunehmen für eine qualitative Bewertung.
Fünf Annahmen lagen der Studie zu Grunde – darunter die Verfügbarkeit von mehr partizipativen Werkzeugen durch "BresciaLiquida", eine größere Beteiligung auf der Online-Plattform im Vergleich zu analogen Initiativen und die Wahrnehmung von technologischen Werkzeugen als positiv für die Demokratie.
Die wichtigsten Ergebnisse der Studie auf einen Blick:
- die Online-Initiative zog mehr Menschen an als die kommunale, analoge Initiative
- die signifikantesten Unterschiede zwischen den Teilnehmer:innen der beiden Initiativen waren das Alter und das bürgerschaftliche Engagement
- die Teilnehmer:innen von adhocracy+ waren überwiegend junge Menschen, die sich für den Klimawandel interessieren
- die von den Teilnehmer:innen geäußerten Bedenken betreffen Fragen der Transparenz und des mangelnden Vertrauens in die Institution
In Übereinstimmung mit früheren Studien hatten beide Initiativen mit niedrigen Teilnahmequoten und vollständiger Repräsentativität zu kämpfen, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Das Online-Experiment erreichte eine größere Anzahl von Personen. Bei der Betrachtung von Alter und bürgerschaftlichem Engagement zeigten sich jedoch unterschiedliche Muster. Anders als bei der Face-to-Face-Initiative waren die Teilnehmer:innen von adhocracy+ überwiegend junge Menschen, die keiner bestimmten Organisation angehörten, aber ein Interesse am Klimawandel zeigten. Am Ende des Experiments zeigten die Daten, dass viele Personen immer noch an das Potenzial von Online-Plattformen zur Verbesserung der Demokratie glaubten. Ihre Beteiligung wurde jedoch in erster Linie durch ein allgemeines Misstrauen gegenüber Regierungen in jeder Form gehemmt. Andere Faktoren, wie Sorge um Datenschutz, mangelnde Motivation, Schüchternheit oder Zeitmangel behinderten zusätzlich teilweise die Beteiligung – einige Teilnehmer:innen gaben an, sich nutzlos oder unfähig zu fühlen, sinnvolle Hilfe zu leisten. Dies könnte auf Faktoren wie ein geringes Selbstwertgefühl, mangelndes Vertrauen in das eigene Wissen oder Angst vor Urteilen in einer Gemeinschaft, in der kritische Bewertung und Zusammenarbeit gefordert werden, zurückzuführen sein. Dies unterscheidet sich von der routinemäßigen Nutzung von Social-Media-Plattformen, wo geistige Fähigkeiten in der Regel nicht bewertet werden. Schließlich wurde der passive Charakter der schulischen Bildung in Italien als ein Faktor identifiziert, der zum Mangel an Ideen beitrug. In Italien besteht der Unterricht in erster Linie in Frontalunterricht und Auswendiglernen. Die Entwicklung einer kritischen Denkweise ist in den Schulen nicht üblich, was einzelne Personen möglicherweise davon abhält, Ideen zu entwickeln.
Insgesamt äußerten die Befragten ihre Wertschätzung für den Online-Prozess und waren der Meinung, dass die Demokratie von der Integration von Online-Plattformen in die Entscheidungsfindung profitieren könnte. Die Zurückhaltung bei der Nutzung von Adhocracy war auf den anspruchsvollen Fragebogen zurückzuführen, den die Teilnehmer:innen bereits ausgefüllt hatten. Trotzdem fanden die englischsprachigen Teilnehmer:innen die Plattform einfach und intuitiv zu bedienen. Ähnlich verhielt es sich mit der Initialisierung des Online-Raums und der Vertrautmachung mit den Werkzeugen und Funktionen von Adhocracy+ durch die Autorin der Studie. Nach Erhalt des Zugangs zum Raum und des Leitfadens war die Einrichtung der Initiative in der Tat sehr einfach und schnell. Dadurch wurde der gesamte Prozess, der vollständig von Francesca Benedetta Aletto geleitet wurde, vereinfacht. Ein besonderer Dank geht an Silvia Parolini, die das Logo entworfen hat.